Magazinrundschau

27 Sekunden Ruhm

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
30.04.2024. Granta beobachtet nervös die mörderischen Aktivitäten der Wagner Söldner in Zentralafrika und die Bewegungen der Drogenkartelle in den Bergen Mexikos. New Lines besucht in Ruanda die Kinder der Täter des Genozids. Himal berichtet über die Deportation von Afghanen aus Pakistan. Im New Statesman fragt der Historiker Quinn Slobodian: Was bleibt von Thomas Pikettys "Kapital im 21. Jahrhundert"? Artalk besucht den tschechisch-slowakischen Pavillon in Venedig. In Persuasion plädiert der Philosoph Kwame Anthony Appiah dafür, Identität ein bisschen leichter zu nehmen.

Granta (UK), 29.04.2024

In der neuen Ausgabe von Granta berichtet James Pogue über die Aktivitäten der russischen Gruppe Wagner in der Zentralafrikanischen Republik, einem Land, das inzwischen weitgehend unter russischem Einfluss steht. Auch dank der gnadenlos brutalen Wagner-Methoden: "Außerdem hat Wagner 5000 lokale Kämpfer rekrutiert. 'Wir nennen sie die schwarzen Russen,' sagt ein Botschaftsangestellter in Bangui, 'sie sind die furchteinflößendsten überhaupt.' Viele Kämpfer der Rebellen sind Muslime, Wagner scheint sich laut der Watchdog-Gruppe The Sentry, bei der Rekrutierung auf die traditionell halbnomadische ethnische Gruppe der Peul zu konzentrieren. Die Wagner-Söldner befehlen den mit ihnen kämpfenden zentralafrikanischen Truppen, Frauen und nicht kampfeswillige Kameraden in Gruppen zu vergewaltigen. 'Sie wälzen alle Schuld auf die Peul ab', berichtet mir Alain Nzilo, der Gründer der Nachrichtenseite Corbeau News Centrafrique (CNC), die in der Zentralafrikanischen Republik seit dem Jahr 2021 verboten ist. 'Da draußen gibt es keine Journalisten, keine Medien', meint er, 'gerade erst in Bocaranga, vor zwei Wochen, haben sie zwei Leute getötet, ein Mädchen vergewaltigt. Im Busch sind Wagner die Könige.'"

Anjan Sundaram bewegt sich durch hochgradig unsicheres Gebiet in den mexikanischen Bergen zwischen Drogenkartellen, lokalen Anti-Kartell-Milizen und einem überforderten Staat. Unter anderem geht es in der durchaus actionreichen Reportage um die Suche nach vermissten Aktivisten. Aber was macht die Kartelle überhaupt so erfolgreich? "Sobald die Kartelle eine Gegend betreten, rekrutieren sie junge Leute und Kinder als Drogendealer. Normalerweise verkaufen sie die Drogen in Liquor Stores. Der Jugend wird Reichtum versprochen, wenn sie sich nur im Kartell nach oben durcharbeiten. Örtliche Lieder verherrlichen die Sicario, beziehungsweise Auftragskiller, und die Anführer der Plazas, der Gegenden, die die Kartelle kontrollieren. Die meisten Rekruten sind unterprivilegierte junge Männer, die in der modernen mexikanischen Gesellschaft nicht viel zu melden haben. Die Kartelle sind eine Chance, in die mexikanische Oberklasse vorzustoßen. Kartelle sehen Schutzgeldringe und Schmuggel als Mittel, um Vermögen von den Reichen zu den Armen zu verlagern. Die Kartelle ermöglichen es ihren Angehörigen, in Mexikos edelsten Restaurants zu speisen, Deals mit führenden Politikern abzuschließen und mit Rockstars sowie Schauspielern zu feiern."
Archiv: Granta

New Statesman (UK), 30.04.2024

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Thomas Piketty mit seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" den Begriff der Ungleichheit zum Schlagwort machte. Zeit, darüber nachzudenken, was damit gewonnen wurde, meint der Historiker Quinn Slobodian. Und welche Lösungen angeboten werden. Interessant an Pikettys Vorschlägen findet Slobodian "unter anderem, dass sie den Gedanken der Sichtbarkeit in den Vordergrund stellen. Wir brauchen ein globales Finanzregister, in dem alle Unternehmenstransaktionen leicht zu sehen, nachzuverfolgen und somit zu besteuern sind. Zusammen mit seinen Mitarbeitern am World Inequality Lab, das an der Pariser School of Economics angesiedelt ist, an der er lehrt, hat Piketty dazu beigetragen, eine Art globale Schatzsuche in Archiven zu starten, bei der Postdocs, Professoren und Doktoranden in alle Ecken der Welt ausschwärmen, um Haushaltserhebungen und Daten aus oft schlecht gepflegten Aktenordnern und bröckelnden Manila-Ordnern auszugraben. Diese Idee ist aufregend modern", meint Slobodian. Was sie allerdings nicht bietet, sind "Tränengas und die erhabenen Erfahrungen der aufständischen Menge", die die Abschaffung des Privateigentums fordert. "Piketty kann sich in Bezug auf dieses Ziel bedeckt halten, indem er provokante Ideen von 'temporärem Eigentum' und andere Versuche vorstellt, das zu untergraben, was er 'Eigentum' nennt."

Erica Wagner befragt Salman Rushdie über dessen neues Buch "Knife", in dem sich der Schriftsteller mit dem Anschlag auf sein Leben am 12. August 2022 auseinandersetzt. Unter anderem möchte Wagner wissen, warum Rushdie den Namen seines Angreifers nicht nennt. "Nun, in gewisser Weise verdanke ich die Idee Margaret Thatcher. Als sie Premierministerin war, gab es eine Zeit, in der die IRA im ganzen Land Anschläge verübte, und ich erinnere mich daran, dass sie etwas in die Richtung sagte, sie wolle den Terroristen den Sauerstoff der Öffentlichkeit entziehen. Diese Wortwahl war mir aus irgend einem Grund im Gedächtnis haften geblieben, und ich dachte mir: 'Okay, der Typ hatte also seine 27 Sekunden Ruhm, jetzt aber sollte er wieder zu einem Niemand werden - Ich will seinen Namen nicht in meinem Buch.' Deshalb nannte ich ihn 'A', denn in meinen Augen ist er viele Dinge auf einmal. Ein verhinderter Attentäter, ein Angreifer, ein Antagonist, ein Arsch - aber ich wollte diskret sein, deshalb habe ich ihn einfach 'A' genannt.'"
Archiv: New Statesman

The Insider (Russland), 25.04.2024

Im Juni beginnen die Olympischen Sommerspiele in Paris, doch russische Sportlerinnen und Sportler bleiben weiterhin vom Wettbewerb ausgeschlossen, erklärt Elizaveta Pyatnitskaya in The Insider. Sie dürfen nur als "neutrale Athleten" antreten, was von Kreml-nahen Vertretern als Verrat gewertet wird. "Einige russische Sportler haben sich entschieden, nicht nach Paris zu reisen. Wassili Titow, der Präsident des russischen Turnverbands, erklärte, dass keiner der Turner unter neutralem Status antreten wolle. Valentina Rodionenko, die Cheftrainerin der Nationalmannschaft, erklärte: 'Unsere Landsleute opfern bei der militärischen Sonderoperation ihr Leben, und wir werden nicht bereit sein, unter solch erniedrigenden Bedingungen aufzutreten, nur um vielleicht eine Medaille zu gewinnen. Das wäre ein echter Verrat; wir sind keine Verräter'. Weder Putin noch hochrangige russische Beamte haben sich eindeutig zu einem Boykott der Olympischen Spiele geäußert, aber in Kommentaren einiger prominenter Persönlichkeiten wurden die Athleten, die sich unter dem Banner der Neutralität auf den Wettkampf vorbereiten, offen beleidigt. Am 26. März sagte Irina Viner, eine langjährige Trainerin der russischen Rhythmischen Sportgymnastik, dass die Athleten wie 'ein Team von Obdachlosen ohne Flagge, Hymne und Fans' aussehen würden. Ein paar Tage später blieb Viner bei ihrer Beschreibung: 'Ein Team von Flüchtlingen! Wie kann man sich nur so erniedrigen? Ich bin mir sicher, dass die Menschen den Athleten nicht verzeihen werden, wenn sie als Neutrum zu den Olympischen Spielen fahren.' Der Vorsitzende des Russischen Olympischen Komitees, Stanislav Pozdnyakov, selbst vierfacher Olympiasieger im Fechten, schloss sich Viners Meinung an und merkte an, dass es zutreffender wäre, 'neutrale' Athleten als 'ein Team ausländischer Agenten' zu bezeichnen."
Archiv: The Insider

Artalk (Tschechien / Slowakei), 30.04.2024

Die slowakische Kuratorin, Kunstkritikerin und Aktivistin Lenka Kukurová berichtet von der Kunstbiennale in Venedig, wo sich dieses Jahr Tschechien und Slowakei einen Pavillon teilen. Diese Kooperation wurde schon vor Antritt der rechtspopulistischen Fico-Regierung angestoßen; da jedoch Lýdia Pribišová, die Kuratorin des slowakischen Auftritts, von der neuen Kulturministerin Martina Šimkovičová im Zuge von deren Säuberungen (so muss man wohl sagen) Anfang des Jahres gechasst wurde, mussten die Künstler "in einer feindseligen politischen Realität, unter großem Zeitdruck und unter eingeschränkten finanziellen Bedingungen improvisieren", so Kukurová. Während die Ausstellung der tschechischen Künstlerin Eva Kotátková "die Geschichte einer Giraffe erzählt, die zunächst als lebende Giraffe im Zoo und dann als tote Giraffe im Museum ausgestellt wurde", widmet sich das "Floating Arboretum" des slowakischen Künstlers Oto Hudec der Geschichte spezifischer Bäume. Im Zuge der Pavillon-Eröffnung kam es während der Rede des Ministeriumsvertreters Peter Lukáč zu einer Protestaktion, bei der viele Anwesende Schilder mit der Aufschrift: "Das Kulturministerium der Slowakischen Republik repräsentiert uns nicht" hochhielten. Auch Tschechen und andere nichtslowakische Besucher nahmen daran teil - und dieser internationale Beistand sei enorm wichtig im Kampf um die freie Kunst in der Slowakei, meint Lenka Kukurová. Die Kulturministerin reagierte umgehend, erst über spöttische Kommentare in ihrem Telegram-Account, dann über eine offizielle Erklärung, in der sie offenbar auch eine der künstlerischen Performances als Protest missinterpretierte und abschließend forderte: "Hört auf, der slowakischen Kultur im Ausland Schande zu bereiten!" Kukurová befindet: "Das Gegenteil ist der Fall. Dank des gemeinsamen Engagements des ganzen Ausstellungsteams und des kollektiven Publikumsprotests während der Rede des Ministeriumsvertreters verwandelte sich das Gefühl der Schande und Scham über die derzeitige slowakische Kulturrepräsentation in ein Gefühl von Bestärkung und Stolz."
Archiv: Artalk

New Lines Magazine (USA), 30.04.2024

Ruanda hat vieles getan, um den Genozid vor dreißig Jahren aufzuarbeiten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, weiß Lauren Watson. Trotzdem hat das Massaker bis heute Auswirkungen auf die Gesellschaft, auch auf die jungen Menschen, die zu dem Zeitpunkt des Massakers an den Tutsi noch nicht einmal geboren waren (und die immerhin zwei Drittel der Bevölkerung Ruandas ausmachen, wie Watson aufzeigt). Sie trifft den 25-Jährigen Kanyoni, dessen Vater auf der Seite der Täter stand. Lange wusste Kanyoni nichts über das, was sein Vater getan hatte, erzählt er Watson, bis er eines Tages eine Frau vor einem Verkehrsunfall rettete. Als er nach Hause kam, erzählte ihm die Mutter von der Verwicklung seines Vaters in den Genozid: "'Er hat niemanden getötet, sondern mitgemacht', erklärt Kanyoni. Kanyoni geht davon aus, dass sein Vater dieselbe Frau, die Kanyoni später rettete, zu einer Straßensperre begleitete, wo sie dann von der örtlichen Miliz vergewaltigt wurde." Bei einem informellen Gericht, ein sogenanntes Gacaca (mehr zum Thema hier) wurde sein Vater zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Nachkommen von Tätern erfahren in Ruanda in vieler Hinsicht strukturelle Benachteiligung, was Kanyoni selbst erfahren hat: "Er sagt, die Nichtregierungsorganisation, die seine Grundschulausbildung finanzierte, habe ihm das Schulgeld für die High School gestrichen, und er habe sich nicht für Stipendien zum Besuch der Universität qualifizieren können. 'Ich habe wirklich gelitten', sagte er. 'Wissen Sie, wenn man nichts zu tun hat, fängt man an, in die falsche Richtung zu denken. Ich dachte, dass ich vielleicht nicht zur Universität gehen würde, weil meine Noten nicht gut genug waren, aber mein Nachbar, der schlechtere Noten hatte, schaffte es.' Kanyoni ist der Meinung, dass den Familien der Täter mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, damit Versöhnung und Einheit funktionieren. 'Darauf kann man sich als Nächstes konzentrieren', sagte er."
Stichwörter: Tutsi, Genozid in Ruanda, Hutu

Desk Russie (Frankreich), 29.04.2024

Dmitri Voltchek unterhält sich mit der Regisseurin Beata Bachkirova, die zusammen mit ihrem Mann Mikhaïl einen Dokumentarfilm über einen außergewöhnlichen Mann gedreht hat: Alexander Gabyschew alias "Sasha der Schamane" entschloss sich im Frühling 2019, vom sibirischen Iatsouk zu Fuß bis nach Moskau zu marschieren. In der Hauptstadt angekommen, wollte einen Exorzismus der besonderen Art ausführen und mit einem schamanischen Ritual Putin aus dem Kreml vertreiben. Bachkirova hat den Schamanen auf seiner Reise begleitet, die 2021 gestoppt wurde. Scheinbar bekam es der Dämon im Kreml angesichts der wachsenden Anhängerschaft mit der Angst zu tun, denn Gabychev wurde verhaftet und in eine psychiatrische Anstalt zwangseingewiesen. Jetzt kämpft die Regisseurin, zusammen mit vielen anderen, für die Freilassung des "kriegerischen Schamanen", der früher ein ganz reguläres Dasein führte: "Er studierte an der Universität, diente in der Armee, es war ein ganz normales Leben. Dann heiratete er, aber seine Frau wurde schwer krank und starb, was für ihn einen großen Schock bedeutete. Er zog in den Wald, wo er mehrere Jahre lang allein lebte. Natürlich wusste er, wer Putin war, aber er interessierte sich nicht für Politik. Wie er sagt, hörte er irgendwann die Stimme Gottes, die ihm sagte, dass Putin ein Dämon sei und dass man hingehen und ihn aus dem Kreml vertreiben müsse. Das war ein sehr klarer Gedanke, ein Bewusstsein, dass dies seine Aufgabe war... Am Anfang haben nur wenige Leute wahrgenommen, dass es sich um etwas Ernstes handeln könnte, alle haben gelacht. Dann begannen einige Leute, sich ihm anzuschließen. Einige Monate später, als wir mit ihm marschierten, waren es bereits 30 Personen, und seine Truppe wuchs sehr schnell." Den Trailer zu Bachkirovas Dokumentation "A Shamans Tale" kann hier sehen.
Archiv: Desk Russie

Eurozine (Österreich), 29.04.2024

Für Alexis Lévrier reihen sich die weit rechts stehenden französischen Medien, die zum "Imperium" des Milliardärs Vincent Bolloré gehören, in eine "nationalistische und fremdenfeindliche journalistische Tradition" ein, die schon in der Belle Epoque begann und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blühte. Beginnend bei der antisemitischen Propaganda während der Dreyfuß-Affäre in Zeitungen wie La Libre Parole bis zu den faschistischen Artikeln der L' Action francaise in den zwanziger und dreißiger Jahren stellt Lévrier nicht nur inhaltliche Parallelen fest. Es ist auch eine bestimmte Art des Diskurses, die sich Programmleiter und Moderatoren bei frühen Vorbildern abgeschaut zu haben scheinen, so Lévrier: "Der gewalttätige Ton im Diskurs der Bolloré-Mediensphäre ist eines der Hauptelemente, die sie von der rechtsextremen Publizistik der Zwischenkriegszeit übernommen hat. In den 1920er und 1930er Jahren war die gleiche Art von extremer Sprache in Zeitungen üblich, die ausdrücklich von faschistischen oder nationalsozialistischen Ideologien angezogen waren. Aber die hasserfüllten Beschimpfungen von Robert Brasillach oder dem faschistischen Intellektuellen Lucien Rebatet in der antisemitischen Zeitung Je Suis Partout hatten ihre Entsprechung auf den Seiten von L'Action Française, trotz der literarischen Ansprüche von Autoren wie Charles Maurras oder Jacques Bainville. Wie der französische Historiker Michel Winock schreibt, brach die L'Action Française mit ihrem traditionell gemäßigten, royalistischen Stil und übernahm alle Exzesse der Polemik, der Ad-hominem-Angriffe und der Mordaufrufe'. In der Tat bestand der größte Erfolg der [heutigen] CNews-Kommentatoren in den letzten Jahren gerade darin, dass es ihnen gelang, in den Medien eine Vorliebe für Antagonismus und Empörung zu wecken. Diese Gewalt richtet sich in fast ritueller Weise vor allem gegen Personen der Linken oder der Mitte: Selbst die Stammgäste in den Talkshows scheinen keinen anderen Zweck zu haben, als ihre Gegner zu verhöhnen. Während des letzten Präsidentschaftswahlkampfes hat die kämpferische Atmosphäre des Senders sogar auf die anderen audiovisuellen Medien abgefärbt. Dieser Triumph eines übertriebenen Radikalismus, der auch die Fernsehsendungen von Cyril Hanouna auf dem Kanal C8 kennzeichnet, ist vielleicht der durchschlagendste Erfolg des Bolloré-Modells."
Archiv: Eurozine

Himal (Nepal), 29.04.2024

Pakistan droht nach einer ersten Abschiebewelle weiteren Hunderttausenden von Afghanen im Land mit der Deportation in ihr Heimatland, berichtet Jamaima Afridi. Der Druck ist erheblich, betroffen sind Menschen, die teils in dem Land geboren wurden und sich dort eine Existenz aufgebaut haben. "Für Frauen stellt eine Rückkehr nach Afghanistan im Besonderen ein Risiko dar, da die Taliban Frauenrechte immer weiter einschränken, darunter auch das Recht zu arbeiten, auf Zugang zu Bildung und Zutritt zum öffentlichen Raum." Die Rechtsanwältin Moniza Kakar "ergänzt, dass Journalisten und Musiker ebenfalls ernsthaften Gefahren entgegen sehen, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren, vor dem Hintergrund, dass die Taliban die Pressefreit und die Musik einschränken, da das Regime sie für unislamisch hält." Die Regierung habe "eine klare Richtlinie für eine freiwillige Rückkehr zu einem angekündigten Termin', sagt Muhammad Abbas Khan, Pakistans Chefbeauftragter für afghanische Flüchtlinge. 'Sollte eine freiwillige Rückkehr nicht stattfinden, beginnt dieselbe Verfahrensweise, die auch bei illegalen Afghanen greift.' ... Ein Schlüsselaspekt dieser Vertreibung ist, dass viele Flüchtlinge dazu gezwungen waren, ihren Besitz zurückzulassen, oft inklusive Fortbewegungsmittel, Unternehmen oder anderen Besitz, der über Jahre durch harte Arbeit angehäuft wurde. Afghanischen Flüchtlingen ist es in Pakistan legal nicht gestattet, Immobilien und Unternehmen anzumelden. Daher sind sie dafür oft auf die Hilfe von pakistanischen Partnern angewiesen. Doch die pakistanische Regierung hat denen, die deportiert werden, lediglich gestattet, 50.000 Pakistanische Rupien mit sich zu nehmen. Das entspricht in etwa 168 Euro. Viele sahen sich daher dazu gezwungen, ihren Besitz zum niedrigen Preis abzutreten oder auf Geld zu verzichten, dass sie Freunden geliehen haben."
Archiv: Himal

Persuasion - Substack, Yascha Mounk (USA), 20.04.2024

Der ghanaisch-amerikanische Philosoph Kwame Anthony Appiah hat schon im Jahr 2007 ein Buch über Kosmopolitismus geschrieben, in dem er der aufkommenden Identitätspolitik eine Haltung entgegensetzte, die Differenzen zwar anerkennt, aber nicht um den Preis gegenseitigen Ausschlusses. Daran hält er auch im Gespräch mit Yascha Mounk fest und begründet es am Beispiel der Religion: "Wenn Sie ein gläubiger Katholik ... dann gibt das Ihrem Leben einen Sinn. Aber wenn Sie glauben, dass Ihre amerikanischen katholischen Freunde alle einer Meinung sind, was die Homo-Ehe oder die Abtreibung oder etwas Ähnliches angeht, dann täuschen Sie sich, obwohl wir wissen, wie die Kirche in diesen Fragen denkt. Für eine reiche Person aus der oberen Mittelschicht wie mich ist es vielleicht einfach zu sagen, aber ich denke, dass die Menschen ihre Identitäten vielleicht ein bisschen leichter nehmen sollten, als sie es zur Zeit tun, dass sie erkennen sollten, dass sie nicht für alle Schwarzen oder alle Trans-Menschen oder alle Cis-Menschen oder alle Männer oder Schwulen sprechen können. Und dass diese Identitäten uns zwar Anhaltspunkte dafür geben, wie die Menschen mit uns umgehen werden, dass es aber nur lose Anhaltspunkte sind, und je mehr wir diese Menschen kennen, desto weniger nützlich sind sie. Ich denke, wir sollten nicht dem essenzialistischen Grundgedanken verfallen, dass alle Personen mit der Identität 'X' in allen wichtigen menschlichen Aspekten, auf die es ankommt, grundlegend gleich sind. Das ist nicht der Fall - Männer sind alle unterschiedlich. Frauen sind alle verschieden. Trans-Menschen sind nicht alle gleich."

Spectator (UK), 27.04.2024

Es klingt nicht gerade beruhigend, was Nigel Inkster, ehemaliger Abteilungsleiter im MI6 über das Ausmaß chinesischer Spionage in westlichen Ländern schreibt. Ein Fehler wäre es schon, die chinesische Stasi als ein Pendant zu westlichen Geheimdiensten zu sehen, erläutert er. Denn in China fühlt sich jede Behörde zur Spionage berufen. Und so lässt sich nur festhalten: "Ausmaß und Intensität der chinesischen Spionage überfordern die westlichen Abwehrkräfte. Das hat auch das FBI zugegeben. Und wenn es schon fürs FBI gilt, wie viel mehr muss es dann für kleine Dienste wie die belgische Sûreté gelten, die mit einem Tsunami chinesischer Geheimdienstaktivitäten konfrontiert ist? Den westlichen Nachrichtendiensten fehlt es auch an einer kritischen Masse an einschlägigen Sprachkenntnissen und regionalem Fachwissen. Während des Kalten Krieges war der Westen voll von Russischsprechern und Experten für die sowjetische Kultur. Im Vergleich dazu gibt es nur wenig Wissen und Verständnis für China." Inkster plädiert dennoch für Gelassenheit und rät, China nicht als Feind, sondern als Herausforderung zu betrachten.
Archiv: Spectator

HVG (Ungarn), 25.04.2024

Der Filmregisseur und Hochschullehrer (UCLA, Kalifornien, USA) Gyula Gazdag spricht im Interview mit Rita Szentgyörgyi u.a. über die Gründe, warum er in Ungarn seit geraumer Zeit keine Film mehr gedreht hat: "Ich habe (nach der Wende) an Drehbüchern gearbeitet, ich habe versucht, Filme zu machen, aber sie wurden nie gedreht. Ich würde auch gerne die Gründe dafür erfahren. Vielleicht gehört die Wirtschaftskrise von 2008 ebenso dazu wie die Entstehung und der anschließende Zusammenbruch der ungarischen Filmförderung. Ich glaube, dass die Finanzierung der Filmproduktion in Ungarn im Moment an einem Punkt angelangt ist, an dem sie nicht einmal mehr versucht, demokratisch zu sein. Soweit ich sehen kann, wird der Film weder als Industrie- noch als Kunstform betrachtet, sondern lediglich als Propagandainstrument."
Archiv: HVG

New York Times (USA), 27.04.2024

Anne Frank war vielleicht "weiß". Aber muss Yair Lapid, einstiger israelische Premier und heute wichtigster Opponent Netanjahus, wie hier im Gespräch mit Lulu Garcia-Navarro wirklich daran erinnern, dass "Anne Frank kein weißes privilegiertes Kind war"? Bitter äußert er sich über den "Verrat der Intellektuellen" in den westlichen Ländern, die nicht verstehen, in welchem existenziellen Konflikt Israel bestehen muss. Bei aller Kritik an Netanjahu verteidigt Lapid die israelische Armee, die alles tue, um zivile Opfer gering zu halten: Und "im Moment gibt es zu diesem Krieg nur eine Alternative, und die ist, ermordet zu werden. Wir haben nie um diesen Krieg gebeten. Wir haben diesen Krieg nie gewollt, und wir haben uns nur für diesen Krieg entschieden, weil unsere Kinder lebendig verbrannt wurden. Weil unsere Alten getötet wurden. Weil wir auch jetzt noch Geiseln in den Terrortunneln haben. Und sie haben Frauen vergewaltigt und Dörfer erobert. Und mehr noch, sie haben offen gesagt - damit meinen sie die Hamas -, dass sie es wieder tun werden, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Und deshalb sind wir in Gaza, um sicherzustellen, dass dies nie wieder geschieht." Dabei hält Lapid fest, "dass wir, wenn wir das stärkste Land im Nahen Osten bleiben wollen, auch die stärkste Demokratie bleiben müssen."
Archiv: New York Times